Medeamaterial der Studiobühne sorgt für unterhaltsame Verwirrung

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Ein Stück wie ein Blockbuster, könnte man meinen: Liebe, Gewalt, Sex und Verrat! Die Studiobühne präsentiert mit „Medeamaterial“ von Heiner Müller aber ein ganz untypisches Schauspiel.

Was passiert hier? Wird das eine Märchenlesung?

Das Theaterstück beginnt mit einer Bildbeschreibung, die Hanna Boysen unvermittelt und ohne Einleitung beginnt. In den ersten Minuten wollen die Sätze und Wörter aus ihrem Mund keinen richtigen Sinn ergeben. Was jedoch sofort deutlich wird, sind die Klänge und Laute der Worte, die beinahe eine Melodie ergeben. Was passiert hier? Wird das eine Märchenstunde à la Grimms? Doch dann wird plötzlich ein blutiger Mord beschrieben und wilder Sex, bei dem ein Stuhl zerbricht. Die wirren Sätze ergeben zwar immer noch keinen Sinn, doch ständig formen sich weitere Bilder zu einem Gesamtkunstwerk im Inneren des Zuschauers.

Idylle vs. Gewalt – Die Erwartungen werden gebrochen

Die Erwartungen der Zuschauer werden immer wieder bewusst gebrochen. Zunächst inszeniert Heiner Müller ein Idylle, die er nur kurz darauf durch eine krasse Wortwahl, die nicht vor Gewalt und Obszönität zurückschreckt, wieder bricht. Das Wörtchen „oder“, welches Hanna Boysen auf verschiedenste Art und Weise betont, steht im Mittelpunkt der Bildbeschreibung, die von der Betonung der Vorleserin lebt. Wer die antike Geschichte der Alcestis in der Bildbeschreibung nicht erkennt, kann sich bei Bedarf im Programmheft informieren.

Medea, die Barbarin im barocken Kleid

Eine zweite kurze Lesung leitet mit harten Worten und Bildern zu dem eigentlich Schauspiel über: Medea (Andra de Wit) betritt die Bühne in einem barocken Kleid und einer auffällig hochtoupierten Perücke. Sie und ihr Mann Jason (Helge Widany) sind hell geschminkt im Barockstil mit viel Rouge auf den Wangen. Beide Schauspieler gehen nur einzelne Schritte auf der Bühne. Die einzigen Requisiten sind ein Dolch, ein goldenes Tuch und ein Stuhl. Manchmal scheint es sogar, als wolle Jason mit dem Stuhl Medea erschlagen. Ständig hebt er diesen hoch, um ihn an einer anderen Stelle wieder abzusetzen. Doch nichts passiert, die Handlung des Stücks wird nur durch Sprache vollzogen. Medea redet fast ununterbrochen. Sie erzählt, wie sie Jason dabei geholfen hat, das goldene Vlies zu bekommen und aus Liebe dabei sogar ihr Land verraten und ihren Bruder Apsyrtos getötet hat.

Viel Drama, wenig Affekte

Ein brennendes Kleid, ein getöteter Ehemann und trotzdem keine physische Handlung auf der Bühne. Während Medea über ihre Kinder, den Mord und ihren Verrat spricht, zeigt sie keine Emotionen. Zusammen mit den Kostümen bildet das ein Moment der Verwirrung. Nach der Lesung, in der verschiedene Tötungsakte beschrieben werden, erwartet man beinahe ein Blutbad auf der Bühne. Gerade dann, wenn der antike Stoff bekannt ist. Dies bleibt jedoch aus. Nur mit Worten beschreibt Medea, wie sie ihre Nebenbuhlerin Kreusa durch ein verzaubertes Kleid ermordet. Erst am Ende des Stücks schreitet sie wirklich zur Tat auf der Bühne.

Jason spricht nur wenige Sätze im gesamten Stück. Er stolziert eher wie eine Marionette auf der Bühne herum. Die Mimik und Gestik von Helge Widany passen sich perfekt diesem Spiel an. Sofort entsteht das Gefühl, man wäre einige Jahrhunderte in der Zeit zurückgesprungen. Andra de Wit dominiert als barocke Medea hingegen die Bühne und das nicht nur wegen ihres üppigen Kleides.

Fazit: Kein normaler Theaterabend!

Ein normaler Theaterabend ist „Medeamaterial“ auf keinen Fall! Diese Art von Theater ist Geschmackssache und doch ist es ein Erlebnis der besonderen Art. Auch wenn der Sinn der Bildbeschreibung und des Stückes nicht wirklich eindeutig wird, ist es dennoch unterhaltsam. Schon allein aufgrund der Kostüme, der bis jetzt noch unerwähnten aber sehr beeindruckenden Musik von Yoma Appenheimer und der angenehmen und betonungsstarken Stimme Hanna Boysens.