„Indien“ – Man(n) hasst sich, Man(n) liebt sich

Indien Studiobühne Paderborn

Indien – ein Theaterstück, das von der Freundschaft zweier Männer handelt, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Aus Hass wird – unter Einfluss von Alkohol – eine freundschaftliche Liebe. Der Studiobühne ist eine sehr unterhaltsame und sehenswerte Aufführung gelungen. Warum ein paar Zuschauer trotzdem vorzeitig gegangen sind und das Stück Indien heißt, aber in Österreich spielt, erfahrt ihr in diesem Artikel.

„Herr Fellner, Sie sind die einzige Person, neben der ich hab‘ scheißen können…“

Heinz Bösel (Oleksii Okhotiuk) und Kurt Fellner (Thorsten Böhner) sind professionelle Gasthaus-Tester: Sie kontrollieren österreichische Gasthäuser im Auftrag des Fremdenverkehrsamts auf ihre Qualität und Ordnung. Sie sind Arbeitskollegen, doch zunächst alles andere als Freunde. Bösel interessiert sich nur für Schnitzel und Bier — am liebsten Tag und Nacht. Fellner dagegen handelt nur nach Vorschrift und ist ein Bilderbuch-Snob. Statt Bier trinkt er gepressten Orangensaft. Seiner Freundin schenkt er einen Mixer zu Weihnachten, während Bösel seiner Frau Strapsen schenkt.

Immer wieder kommt es zu Konflikten zwischen den beiden. Bis zu dem Moment, in dem Bösel gesteht, dass seine Ehe alles andere als glücklich ist und auch Fellner von seiner Freundin verlassen wird. Beide Männer verbrüdern sich bei einem Saufabend und werden per Du. Glücklich ruft Bösel auf der Toilette:

[pull_quote_center]Herr Fellner, Sie sind die einzige Person, neben der ich hab‘ scheißen können…[/pull_quote_center]

Derbe Witze = Flüchtende Zuschauer?

Schon von der ersten Minute an sind die Sprüche der beiden Männer sehr derb. Gerade Bösel macht gerne anzügliche und sexistische Witze und auch Fellner schreckt nicht vor rassistischen Späßen zurück. Josef Hader und Alfred Dorfer, die das Stück 1991 verfasst und es sogar 1993 verfilmt haben, sind als Kabarettisten bekannt für ihren bissigen Humor. Die Denk- und Verhaltensweise dieser Männer — die keineswegs unrealistisch ist —  wird durch parodistische Überspitzung vorgeführt und lächerlich gemacht. Besser kann Kritik eigentlich nicht funktionieren! Und wenn Bösel über den langsamen Service eines Gasthauses schimpft, wird sich mit Sicherheit auch der ein oder andere Zuschauer ertappt fühlen:

[pull_quote_center]50 Minuten für ein Schitzel… das ist doch kein Gasthaus mehr! Na, denen schreibe ich eine Bewertung! Die haben nächstes Jahr nur noch Flüchtlinge![/pull_quote_center]

Dieser Humor war allerdings für einige scheinbar zu viel oder wurde nicht richtig verstanden. Und so verließen drei Zuschauer bereits nach den ersten 15 Minuten den Saal — ohne wiederzukehren.

„Indien“ spielt in Österreich

Indien heißt das Stück, obwohl es in Österreich spielt. Auf Fellner scheint das Land eine geradezu magische Anziehungskraft auszuüben; er zieht es immer wieder zum Vergleich heran:

[pull_quote_center]In Indien zum Beispiel — die essen überhaupt nur Reis. Die sitzen auf der Straße, essen Reis und lachen dabei. Manche verhungern.[/pull_quote_center]

Indien wird so zum Kontrastmittel: Fellner, der vermutlich selbst nie aus Österreich herausgekommen ist, zeigt mit seiner chauvinistisch bis romantisch verklärten Sicht auf Indien die vernebelte Weltanschauung eines Wohlstandsbürgers vom Stammtisch. Es klingt aber auch deutlich die Sehnsucht heraus, das eigene (Bewertungs-)System zugunsten einer orientalischen Utopie verlassen zu können: Die Vorstellung von friedlicher Schlichtheit; lachend Reis am Straßenrand zu essen, statt den eigenen Blutdruck durch zu spät servierte Schnitzel in die Höhe zu treiben.

Vermischung von Tragik und Komik

Im Stück werden Tragik und Komik miteinander vermischt und gehen fließend ineinander über. Das Ende wird an dieser Stelle nicht verraten, es sei nur so viel gesagt: Es nimmt eine ganz andere Wendung, als die meisten Zuschauer erwarten würden. Oleksii Okhotiuk und Thorsten Böhner spielen diese abwechslungsreichen Facetten sehr überzeugend. Alle Gefühle von Freude und Hass, über Liebe bis hin zu Trauer kauft man ihnen ab. Doch gerade Oleksii Okhotiuk sticht durch seine Spielweise und vor allem seinen leichten Akzent hervor. Im ganzen Stück wird ein österreichischer Dialekt gesprochen, der aus seinem Mund eine größere Komik erzeugt, welche die Studiobühne auch bewusst zu nutzen weiß.

Amüsanter Abend, der zum Denken anregt

Alles in allem ist Indien ein sehr unterhaltsames Stück, mit tollen Schauspielern und einem Ende, das keiner erwartet hätte. Einige Witze könnte man für geschmacklos halten — gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Gender-Debatte an der Uni Paderborn und dem aufkeimenden Rassismus in Deutschland. Allerdings geschieht das nur bei oberflächlicher Betrachtung des Stücks. Durch die überspitzte Darstellung werden die Männer in ihrer Denkweise parodistisch vorgeführt und dienen als Kontrast zur (weiblich konnotierten) Orient-Fantasie, nach der sie sich insgeheim sehnen.

Trailer zu „Indien“: