Der Brand der Synagoge in Paderborn 1938

Wir wagen die Reise in eine düstere Vergangenheit Paderborns. Ein fiktiver Zeitzeuge erinnert sich an die Brandstiftung der jüdischen Synagoge in Paderborn durch die Nationalsozialisten 1938.

Früh am Morgen wird es draußen auf den Straßen plötzlich unruhig. Menschen eilen vorbei, in lebhafte Diskussionen vertieft. Es scheinen immer mehr zu werden. Und sie haben alle dasselbe Ziel: den Platz am Busdorfer Tor in Paderborn. Mich packt die Neugier, ich werde vom Menschenstrom mitgerissen. Was ist passiert? Gerüchte werden laut, dass das Gotteshaus der Juden in Brand gesetzt werden soll. Wundern würde eine solch niederträchtige Aktion nach der Machtübernahme der Nazis niemanden mehr.

Maßnahmen der Vergeltung

War doch erst gestern der offizielle Aufruf von der Gestapo aus Berlin eingetroffen. Angekündigt wurde darin, dass Maßnahmen gegen unsere jüdischen Mitbürger ergriffen und ihre Synagogen zerstört werden sollten. Zur selben Zeit saßen die Paderborner SA-Männer und SS-Leute im Schützenhof in launiger Runde zusammen. Sie feierten den 15. Jahrestag des missglückten Hitler-Putsches. Angetrunken und frustriert waren diese Barbaren wohl in der richtigen Stimmung, um ihrer Wut Ausdruck zu verleihen. Denn sogleich zogen zahlreiche Truppen der SS und SA mit Knüppeln und Pistolen bewaffnet los, um es den Juden heimzuzahlen. Allen voran der Fuhrparkleiter und SS-Hauptsturmführer Otto Nagorny.

Pogromnacht und ihre Folgen

Unter unseren Füßen knirscht und splittert es. Überall liegen noch die Glasscherben der zerbrochenen Fensterscheiben auf dem Boden. Ich umkreise einen alten Schreibtisch, der mitten auf dem Gehweg liegt. Sehe einzelne Stuhlbeine neben Geschäftspapieren verstreut auf der Straße. Zeugnisse blinder Zerstörungswut. Jetzt stehen die Häuser und Geschäfte der Juden verlassen da, die Türen weit geöffnet, innen alles demoliert. Rückblickend betrachtet trifft der Name „Reichskristallnacht“ voll zu.

Wahllose Verhaftung und Misshandlung

Was mit den Bewohnern passiert ist? Die Nationalsozialisten haben die Männer gewaltsam und unter Schlägen aus ihren Wohnungen gezerrt. Mitten in der Nacht die armen Menschen aus dem Bett geholt. Es heißt, dass vollkommen willkürlich jüdische Männer in sogenannte Schutzhaft genommen wurden. Auch viele Frauen und sogar ein Kind sollen eingesperrt worden sein. Bisher ist nicht bekannt, um wen es sich handelt. Möglicherweise kenne ich eines der Opfer. Bei dem Gedanken wird mir übel.

Rücksichtnahme auf Krankenhaus und Wohnhäuser

In der Masse weitergeschwemmt erreiche ich das Busdorf. Schon von außen ist zu erkennen, dass in der Synagoge ordentlich randaliert worden ist. Von einem Feuer ist nichts zu sehen. Der Mann neben mir weiß mehr: Die Nähe zum St. Vincenz-Krankenhaus soll die Nationalsozialisten bislang zurückgehalten haben. Schließlich wollten sie weder die Kranken noch die Bewohner der umliegenden Wohnhäuser gefährden. Doch der Wille zur Brandlegung sei nach wie vor ungebrochen. Ich blicke in die Gesichter einiger SA-Leute und kann wilde Entschlossenheit erkennen. Verwüstung und Plünderung sind ihnen nicht genug, um ihre Rachelust zu stillen.

Geteilte Meinungen zur Feuerlegung

Nach einiger Zeit werden Wasserschläuche im Bereich rund um die Synagoge gelegt. Sollten also Funken auf die umliegenden Häuser schlagen, ist man mit der Löschung sofort zur Stelle – Gefahr gedimmt. Immer mehr Menschen versammeln sich vor dem Gebäude. In den Gesprächen um mich herum vernehme ich Worte des Entsetzens, der Abscheu, der Machtlosigkeit. Aber auch der Zustimmung. Der Zerstörungsrausch der Nationalsozialisten ist nicht aufzuhalten.

Synagoge geht in Flammen auf

Meine Uhr zeigt schon Mittagszeit an. Plötzlich setzen sich SA- oder SS-Leute in Bewegung und transportieren mehrere Fässer in die Synagoge. Das wird Brennstoff sein. Kurz darauf lodern die Flammen. Sie schlagen immer höher und verwandeln das Gebäude nach und nach in eine Ruine. Jede Phase der Verbrennung wird vom Stadtbaurat Dr. Keller mit der Kamera festgehalten. Unsere hiesige Feuerwehr befindet sich unmittelbar vor Ort und sieht untätig zu. Wann werden sie endlich eingreifen und dem grausamen Schauspiel ein Ende setzen? Erst als das Feuer die Kuppel der Synagoge erreicht und sie zum Einstürzen bringt, beginnen die Feuerwehrmänner mit ihrem Einsatz. Viel zu spät. Das Gotteshaus der Juden ist nicht mehr zu retten.

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