Dr. Eurovision im Interview: „Weniger in Englisch singen!“

Mr. Eurovision Sputnik Paderborn

Am Wochenende ist es wieder soweit: Am Samstag, den 14. Mai, findet das 61. Finale des Eurovision Songcontests (ESC) in Stockholm statt. Sängerinnen und Sänger aus ganz Europa und inzwischen sogar Australien stellen sich dem Voting der Zuschauer. Aber wie entstand eigentlich der heutige ESC? Der Sprachwissenschaftler und Autor Dr. Irving Wolther beschäftigt sich schon fast sein ganzes Leben mit diesem Wettbewerb — nicht umsonst hat er den Spitznamen „Dr. Eurovision“. Vor zwei Wochen war er zu Gast in der Paderborner Szene-Kneipe „Sputnik, um aus seinem neuen Buch zu lesen: „Die ganze Welt des Song Contests„. Wir haben mit Irving Wolther über seine Liebe zum ESC und die aktuellen Entwicklungen von Europas größtem Song-Contest gesprochen.

„Der ESC war immer auf dem neusten Stand der Technik“

Herr Wolther, wie kamen Sie eigentlich dazu über den ESC zu forschen?

Mich fasziniert der ESC schon seit meiner Kindheit. Den ersten Wettbewerb habe ich im Fernsehen gesehen, als ich fünf war. Mit einer französischen Mutter in der Familie gehört das Multikulturelle einfach dazu. Damals erwachte mein Interesse für verschiedene Sprachen und Kulturen. Später gründete ich den deutschen ESC-Fanclub, den ich 13 Jahre lang geführt habe. Auch meine Masterarbeit und später meine Dissertation befassten sich mit dem Wettbewerb.

Wie veränderte sich der ESC von den 70er Jahren bis heute?

Der ESC war als Fernsehproduktion immer nah an den Entwicklungen des Fernsehens, das heißt auf dem jeweils aktuellen Stand der Technik. Spider-Cams, mit LED beleuchtete Bühnenbilder, diese Mittel hat der ESC in den Medien-Alltag eingeführt. Tatsächlich zählt das Event seit jeher zu den technisch aufwendigsten Produktionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Konkurrenz-Situation ist heute aber eine andere als in den 70er Jahren, der Fokus auf visuelle Aspekte der Show ist weitaus ausgeprägter.

„Das mit Australien ist schon tricky.“

Geht die Entwicklung der letzten Jahre tatsächlich eher weg vom Schlagerfest und hin zu einem Pop-Event?

Der ESC war nie eine klassische Schlager-Veranstaltung, weil es den typischen Schlager so sonst nirgendwo gibt. Die Deutschen haben lange Schlager hingeschickt und das anschließend so wahrgenommen. Es ist ein Trugschluss zu glauben, die Griechen, Portugiesen oder Isländer würden Schlagertitel einsenden. Auch wird der Wettbewerb in verschiedenen Ländern verschieden ernst genommen. In Griechenland zum Beispiel erreicht der ESC einen medialen Marktanteil von 90%.

Wie beurteilen Sie die Öffnung des ESC für neue Mitgliedsländer?

Das mit Australien ist schon etwas tricky. Die dortigen Anstalten haben die Mitgliedschaft gesucht. Es gibt eine starke europäische Community in Australien, von daher geht das auch in Ordnung.

„Ich wünschte, der Trend alles in Englisch zu singen, ginge zurück.“

Was halten sie von den deutschen Einsendungen aus den letzten Jahren?

Mit Lena haben wir immerhin gewonnen. Ich würde sagen, im Schnitt waren wir gar nicht so schlecht. Bei Lena, da hing mein Herz dran, der Titel hat mir persönlich sehr gefallen. Ansonsten waren die Beiträge nicht immer meine Favoriten, aber das müssen sie ja auch nicht sein. Da bin ich auch zu wenig festgelegt auf Deutschland, meistens habe ich ein Herz für Außenseiter. Allgemein hat sich in der europäischen Musik viel getan. Ich finde, es ist eine Fehlentwicklung so häufig schwedische Gruppen zu engagieren. Schweden beginnt den europäischen Musikmarkt zu dominieren.

Was wünschen Sie sich für die weitere Zukunft des ESC?

Ich wünschte mir, der Trend alles in Englisch zu singen, würde etwas zurückgehen. Der Reiz der verschiedenen Landessprachen ist größer. Die Sänger bringen ihre Emotionen besser rüber, wenn sie in ihrer eigenen Sprache singen können.

„Der Song von Jamie-Lee könnte es weit bringen.“

Was halten Sie vom deutschen Beitrag dieses Jahr und der Kandidatin Jamie-Lee Kriewitz?

Ihr Song war nicht sehr eingängig. Auch in den Charts lief es für das Stück nicht so gut. Dieser Beitrag lebt von der Kandidatin. Jamie-Lee ist eine tolle Künstlerin und eine absolute Sympathieträgerin. Der Song könnte es weit bringen.

Ist der Umstand, dass die Kandidatin ihre Karriere aus einer Teilnahme bei „The Voice“ heraus gestartet hat, ein positives oder negatives Vorzeichen?

Bei den Kandidaten vieler Länder, darunter Frankreich und Ungarn, war es ähnlich. Aus Talent-Shows können begabte Künstler hervorgehen.

Herr Dr. Wolther, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Roman van Genabith.

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